Noch offen für kreatives Sehen?

Die Macht des Fernwehs

Ich sehe in den sozialen Medien sehr viele Bilder von fernen und "schönen" Orten und verspüre, dass ich diese Orte auch gerne fotografieren würde. Aber bringt es mich wirklich weiter, wenn ich fotografiere, was schon oftmals fotografiert wurde? Fotos die Bekanntes wiederspiegeln und Bilder von Orten, die die Menschen bereits kennen, verkaufen sich besser und bekommen mehr Zuspruch. Diese Erfahrung mache auch ich. Aber ist fotografieren nach Sehgewohnheiten Anderer mein Anspruch?

Yosemite (USA), Gullfoss (Island), Wanakatree (Neuseeland) – das sind alles imposante Locations und die würde ich auch gerne sehen und fotografieren. Und ich bin selbstbewusst genug, um zu behaupten, dass ich davon „gute“ Fotos machen würde – aber ich bin auch realistisch: es würden keine einzigartigen Fotos werden. Es wäre nur die Befriedigung des fotografischen Jagdinstinks und damit einhergehend die Degradierung des Motivs zur Trophäe. Ich würde Fotos von Bildern aus meinem Kopf machen, aber keine, die mich selbst überraschen. Vielleicht hätte ich aber auch Glück und 2 Ufos sind mit auf dem Bild :-). Aber die finale Frage ist für mich: Würde ich daran wachsen und Neues lernen?

Es ist schwieriger, Alltägliches aus der nächsten Umgebung in Szene zu setzen, als eine Location, die fürs Fotografieren gemacht scheint und bei der man nichts falsch machen kann. In einer Zeit, in der wir nicht mehr in dem Maße mobil sind wie früher, sind die Möglichkeiten solche Orte zu besuchen, begrenzt. Es wird Zeit, wieder sehen zu lernen.

Die Bilder in sozialen Medien lenken den Blick nur auf das vermeintlich Schöne, aber das ist keine Herausforderung, sondern ein Hinterherlaufen von Trends und der Erfüllung von Erwartungen. Ich mache mich damit zum Dienstleister von Sehgewohnheiten. Bin ich dann noch offen für kreatives Sehen? Aus diesem Grund zeige ich euch heute statt Gullfoss, dem bekanntesten Wasserfall Islands, den unbedeutendsten Grasbüschel Deutschlands. Ich habe ihn gestern am Abend bei einem Streifzug durch den heimischen Wald entdeckt.

Schönen Tag noch!